Stellungnahme des Instituts für Soziologie

Stellungnahme des Instituts für Soziologie zur Streichung des Lehrstuhls für Geschlechtergeschichte am Historischen Institut der Friedrich-Schiller-Universität Jena vom 1. Dezember 2022

Sehr geehrter Präsident, sehr geehrter Herr Prof. Rosenthal,
die Nachricht: „Am 12. Juli 2022 beschlossen die Mitglieder des Fakultätsrats der Philosophischen Fakultät mit einem 10 zu 7 Votum die Nicht-Neubesetzung des Lehrstuhls für Geschlechtergeschichte. Mit der Emeritierung der derzeitigen Professorin Gisela Mettele im Jahr 2025 soll der Lehrstuhl für Geschlechtergeschichte gestrichen werden.“[1] hat auch im Institut für Soziologie große Irritation ausgelöst. Wir schließen uns mit diesem Schreiben den vielfältigen Protesten gegen die Streichung dieses Lehrstuhls am Historischen Institut an.
Aus unserer Sicht würde sich die Universität Jena in jeder Hinsicht widersprechen, wenn sie einerseits im Zuge gleichstellungspolitischer Maßnahmen und Strategien Gender- und Diversitätsgerechtigkeit auf programmatischer Ebene postuliert und andererseits zeitgleich auf der praktischen Ebene einen Lehrstuhl abschafft, der sich in Forschung und Lehre mit diesen Themen aus historischer Perspektive beschäftigt. Die Geschlechtergeschichte ist in vielerlei Hinsicht relevant für die Umsetzung von Gender- und Diversitätsgerechtigkeit, da sie die Dimension Geschlecht in ihrer intersektionalen Verflechtung und ihrer historischen Konstruktion sichtbar macht. Nur durch eine historische Betrachtung von Geschlecht als soziale Differenzdimension können Prozesse aufgezeigt werden, entlang derer sich soziale Hierarchisierungen organisieren, die mit Ausschluss und Verwerfung von Angehörigen bestimmter Geschlechtsgruppen einhergehen. Die Geschlechtergeschichte ist somit zentral für das Verständnis der Prozesse sozialer Ungleichheit und Diskriminierung entlang der gesellschaftlichen Strukturdimension Geschlecht. Auch Studierende und Wissenschaftler*innen vom Institut für Soziologie profitieren überaus vom wissenschaftlichen Austausch mit Prof. Dr. Gisela Mettele, der derzeitigen Inhaberin des Lehrstuhls für Geschlechtergeschichte.
Daher appellieren wir an die Leitung der Friedrich-Schiller-Universität Jena, ihr Gender- und Diversitätsversprechen einzulösen und Gender und Diversität in Lehre und Forschung zu fördern und institutionell abzusichern, anstatt diese Themen auszubremsen. Eine für die Aufstellung und Entwicklung der FSU so wichtige Entscheidung sollte nicht allein auf Fakultätsebene final entschieden werden. In diesem Sinne bitten wir Sie, in dieser Frage zu intervenieren. Dies wird umso dringlicher in einer Zeit, in der nicht nur die extreme Rechte in Thüringen den Begriff Geschlecht nutzt, um demokratische und gleichstellungsbezogene Grundprinzipien anzugreifen und auszuhebeln. Unser Ziel sollte es sein, nicht nur Geschlechtergerechtigkeit im Besonderen, sondern eine offene Hochschule insgesamt zu fördern, in der Vielfalt in jeglicher Hinsicht lebbar ist. Daher brauchen wir auch weiterhin die Geschlechtergeschichte! Vor allem am Standort und vom Standpunkt der FSU aus.

Mit freundlichen Grüßen,
im Namen des Instituts für Soziologie,
Prof. Dr. Kathrin Leuze
Institutsdirektorin