Offener Brief von Prof. Dr. Benno Gammerl (History of Gender and Sexuality, Florenz)

Sehr geehrter Herr Professor Dr. Rosenthal,
Sehr geehrter Herr Professor Dr. Demmerling,

Die beabsichtigte Streichung der Professur für Geschlechtergeschichte an der Fridrich-Schiller-Universität trifft nicht nur in deutschsprachigen, sondern auch in internationalen akademischen Kreisen auf Bestürzung und Unverständnis. Wenn ich recht informiert bin, wird der Fakultätsrat die Entscheidung morgen nochmals überdenken. Ich hoffe inständig, dass sich dabei sowohl im Interesse der europäischen Forschungslandschaft zu Geschlechterverhältnissen als auch im Interesse der Fridrich-Schiller-Universität eine alternative Lösung finden lässt.

Während Equity, Diversity and Inclusion heutzutage vielerorts eingefordert werden, versucht man an anderer Stelle, aus dem Hass auf sexueller Minderheiten und der Ablehnung einer vermeintlichen ‚Gender-Ideologie‘ politisches Kapital zu schlagen. In dieser Situation müssen Universitäten sorgfältig darauf achten, welche Signale sie aussenden. Gerade eine Geschichtswissenschaft, die sich kritisch mit vergeschlechtlichten Machtverhältnissen auseinandersetzt und die auch in der Ausbildung von Lehrer*innen die Vielstimmigkeit der Vergangenheit betont, kann der Gesellschaft helfen, aktuelle Herausforderungen im Kampf gegen sexistische Diskriminierung zu meistern und gewinnbringend mit Diversität umzugehen. Historische Perspektiven sind dabei besonders hilfreich. Die Beschäftigung mit langfristigen Veränderungen, wie sie die aktuelle Lehrstuhlinhaberin Professor Dr. Gisela Mettele in Jena mit ihren Forschungen zum 18. und 19. Jahrhundert ausgesprochen erfolgreich pflegt, bereichert so manche allzu polemische Diskussion mit unaufgeregteren, aber umso fundierteren Einsichten.

Als einzige Universität in den neuen Bundesländern, die der Geschlechtergeschichte mit einem Lehrstuhl ein prominentes Forum bietet, ist die Friedrich-Schiller-Universität auf diesem Feld ein Leuchtturm. Mit Blick auf die Debatte um die Holbein-Stiftung wäre auch eine Erweiterung der akademischen Aktivitäten auf Forschungen zur sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt vorstellbar. So könnte die Friedrich-Schiller-Universität deutschland- und europaweit bahnbrechende Pionierarbeit leisten. Allerdings nur, wenn es gelingt, die Professur für Geschlechtergeschichte und damit ein Umfeld zu erhalten, in dem auch daran anknüpfende intellektuelle Projekte gedeihen können. Mit der Professur der Geschlechtergeschichte gäbe die Friedrich-Schiller-Universität eine einzigartige Gelegenheit leichtfertig aus der Hand.

Denn der Lehrstuhl und seine aktuelle Inhaberin schaffen etwas, was historische Professuren ohne einen expliziten Geschlechterschwerpunkt nicht können: Sie positionieren die Friedrich-Schiller-Universität öffentlich sichtbar auf dem geschlechterhistorischen Feld. Sie stiften einen epochenübergreifenden Austausch. Sie verbinden diverse disziplinäre Perspektiven miteinander. So entstehen Synergien innerhalb des Historischen Instituts und der Philosophischen Fakultät, die das Profil der Universität insgesamt stärken.

Am deutlichsten wird das dort, wo sich Studierende so nachdrücklich für eine Professur einsetzen, wie es die Studierenden in Jena gerade tun. Hier liegt der Schatz, der eine Universität reich macht. Ich weiß, dass das sehr idealistisch klingt, aber eine Universität, die junge Menschen nicht begeistern kann und die sich um die Begeisterung ihrer Studierenden nicht ausreichend kümmert, die verschenkt nicht nur ihr intellektuelles Potential. Eine solche Universität wäre für wissbegierige Menschen mittelfristig nicht mehr attraktiv und könnte den Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenleben nicht mehr leisten, der von ihr erwartet wird.

Ich hoffe inständig, dass Sie einen Weg finden, auf dem sich die Streichung der Professur für Geschlechtergeschichte an der Fridrich-Schiller-Universität vermeiden lässt.

Mit freundlichen Grüßen,
Dr. Benno Gammerl
Professor for the History of Gender and Sexuality
benno.gammerl@eui.eu