Kommentar Prof. Keßler

Kommentar von Professor Mario Keßler vom 15. Oktober 2022 zum TAZ-Artikel »Geschlechterforschung als Kollateralschaden«.

Wie jede Disziplin, die um ihre wissenschaftliche Etablierung noch ringt, ist auch die Geschlechtergeschichte nicht davor geschützt, zum Feld spekulativer Pseudotheorien zu werden. Das mindert aber keineswegs die Notwendigkeit, sie als Teil kritischer Gesellschaftsanalyse im universitären Feld zu begreifen! Gerade Prof. Gisela Mettele hat an der Universität Jena einen Forschungsschwerpunkt aufgebaut, der Geschlechtergeschichte nicht in wolkigen Diskursen auflöst, sondern in Verbindung mit sozialer Ungleichheit und Klassenverhältnissen begreift.
Es ist vielleicht kein Zufall, dass Frau Mettele, die Inhaberin der Professur, neben mehreren Studienabschlüssen den Beruf der Schneiderin gelernt hat und auch aus dieser Erfahrung arbeitende Frauen als politisch-historische Akteurinnen begreift. War und ist eine solche Herangehensweise nicht auch ein Merkmal materialistischer Geschichtsschreibung?
Auch deshalb sollte eine von der Partei Die Linke getragene Landesregierung in ihrer Wissenschaftspolitik sehr darum bemüht sein, dass solche Ansätze im Zuge einer sogenannten Umprofilierung der Professur nicht verloren gehen. Die von Frau Mettele und ihrem Team begonnene Arbeit muss auch weiterhin an der Universität Jena eine gesicherte Perspektive haben!
Prof. Dr. Mario Keßler, Berlin